Ist es nicht infam, sich als hoch zivilisiert zu bezeichnen, zu behaupten, seine moralischen Werte sind höher als die des Anderen, egal, ob es sich dabei um ein einzelnes Individuum, ein Mitglied irgendeiner Familie handelt oder eine moralische Grundsätze vertretende Gemeinschaft?
Wir haben gerade einen Zeitabschnitt von ungekannter Grausamkeit erlebt. Mit Achtung gegenüber den Menschen, deren eigenes Leben betroffen war und deren Familien tief erschüttert wurden, wollen wir in der Stille der Besinnung innehalten.
Wenn der Erste Weltkrieg Frankreich mit zwei Millionen Opfern ausgeblutet hat, hat der Zweite Weltkrieg durch das an allen Orten der Welt erlebte immense Leid einen anderen französisch-deutschen Weg ermöglicht: bemerkenswerte Menschen sind in Erscheinung getreten. Sie haben alles verstanden, sie wussten miteinander zu sprechen, zu überzeugen, zu begeistern. Schließlich wurde wahrgenommen, dass dieser deutsch-französische Weg der Weg in ein vereintes Europa war. Vollzogen durch zwei Größen unserer Geschichte, De Gaulle und Adenauer, wurde der am 22. Januar 1962 unterzeichnete Élysée-Vertrag zur Geburtsstunde dieses Weges. Man darf nicht aufhören, diesen Vertrag immer wieder zu lesen. Er enthält im Grunde genommen alle sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Nach unserer bescheidenen Meinung fehlt dabei nur eine Studie für die selbstständigen Berufe: als einzige Berufsgruppe haben die Tierärzte dies durch die Schaffung von FRANCE-ALLEMAGNE-VETERINAIRE berichtigt.
Otto Kern, ein Kind der französisch-deutschen Tierärztevereinigung
Als einer der Väter der FDV ist es mein Anliegen, mehr als einmal daran zu erinnern, dass die gesamte französisch-deutsche Tierärztevereinigung begonnen hat mit dem Willen, eine Europäische Union der praktizierenden Tierärzte (UEVP) zu schaffen. Dies gelang mit dem Engagement von Dr. Horst Hagenlocher anlässlich des europäischen Treffens im Jahre 1970 in Garmisch-Partenkirchen. Es war meine Aufgabe, dabei die französisch-deutschen Beziehungen unter den Tierärzten zu organisieren. Schnell waren wir freundschaftlich in fester gemeinsamer Anschauung vereint, aber es gab noch einen weiten Weg zu bestreiten. Horst hat mir dazu den passenden Rahmen für den weiteren Verlauf der Beziehungen, der Kontakte und der gemeinsamen Arbeit in Freundschaft und Höflichkeit geliefert. Dies war kein einfaches Durchwinken, denn es musste auch die UEVP und letztendlich auch die Badisch-Elsässische Vereinigung als anerkanntes Mitglied der FDV geschaffen werden. Wir verantworten also zusammen mit Horst Hagenlocher die deutsch-französische Urheberschaft.
Und Otto Kern ist sehr wohl auch ein Kind der FDV. Er hat uns am 26. Oktober 2015 verlassen.
Als einer der Väter der FDV ist es mein Anliegen, unsere tiefe Trauer darüber auszudrücken und seiner Frau Hannelore unser aufrichtiges Beileid auszusprechen! Dies geschieht auch im Namen aller, die ihn gekannt und seine hervorragenden Fähigkeiten als Mensch und als in hohem Maße verantwortungsbewusster Tierarzt geschätzt haben. Ich danke Frau Kern für die Überlassung der Unterlagen dieses ersten Treffens der französischen und deutschen Tierärzte. Dank seines Talents und seiner Kompetenz fand der französisch-deutsche Tierärztetag bereits vier Jahre nach der Gründung im Rahmen von Boehringer Ingelheim am 18. Juni 1976 statt. Nach dem Treffen hat sich Otto Kern mit Leib und Seele für den FDV eingesetzt. Er und seine Ehefrau Hannelore nahmen an zahlreichen Treffen unseres Vereines Teil.
Als tragende Säule meiner eigenen bescheidenen Existenz ist ein demokratisches und vereintes Europa nur möglich auf dem französisch-deutschen Weg!
Ich werde mein Grußwort nicht beenden ohne Ihnen ein möglichst ruhiges Jahr 2016 zu wünschen! Möge das neue Jahr nicht wieder durch dunkle Stunden getrübt werden, wie wir diese 2015 erlebt haben!
Mit den besten Grüßen der Freundschaft und der Hochachtung
André Desbois